Thesen
Contents
- 1 Thesen zur informationellen Grundversorgung in Internet-Zeitalter
- 2 Prämissen
- 2.1 1. Grundversorgung ist essentieller Bestandteil des demokratischen Gemeinwesens
- 2.2 2. Grundversorgung erfordert Ferne zu Staat und Markt und bedingt daher Beitragsfinanzierung
- 2.3 3. Neben Rundfunk und Presse ist das Internet als Medium der Information und Meinungsbildung getreten
- 2.4 4. Grundversorgung ist ein Gesellschaftsvertrag zwischen Kreativen und Publikum
- 3 Hypothesen
- 4 Thesen
- 4.1 Bürger vs. Verbraucher vs. Produzent als Adressat der GV
- 4.2 Internet Native sehen nicht mehr linear, sondern nach Bedarf, zeitsouverän, on Demand
- 4.3 Digital Natives nehmen linear produzierte Inhalte nicht als genuin digital wahr
- 4.4 Es braucht eine andere Form der Organisation, um genuin digital Inhalte zu produzieren
- 4.5 Das Internet ist Element einer neuen, hybriden Form von Öffentlichkeit
- 4.6 Grundversorgung im Internet-Zeitalter ist ...
- 4.7 Integration vs. Sparten/Zielgruppen
- 4.8 Die Fortschreibung des Gesellschaftsvertrags zwischen Kreativen und Publikum erfordert eine neue Organisation
- 4.9 Depublizieren ist ein Unding
- 4.10 Rundfunkarchive müssen bewahrt und zugänglich gemacht werden
- 4.11 Drei-Stufen-Test
- 4.12 Qualität statt Quote
- 4.13 Sparten statt Warten
Thesen zur informationellen Grundversorgung in Internet-Zeitalter
Prämissen
Weitgehend konsensuelle Setzungen, von denen wir im Folgenden ausgehen.
1. Grundversorgung ist essentieller Bestandteil des demokratischen Gemeinwesens
- "als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung wirken.
- die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft erfüllen.
erfüllen ist vielleicht zu viel gesagt .. unterstützen?
- einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen geben
ich würde das ja eher auf Bereiche mit Relevanz für politische Beteiligung beschränken.
- die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern
- Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung. insbesondere Kultur." (Rundfunkstaatsvertrag)
Trotz aller -- berechtigten -- Kritik an der republikanischen repräsentativen Demokratie, trotz aller -- willkommenen, aber unscharfen -- Gegenvorschläge wie eine "radikale Demokratie" (Chantal Mouffe) oder eine "echte Demokratie" (Piotr Czerski, We, the Web Kids), ist sie die bislang beste, praktikable Lösung, die unsere Gesellschaft gefunden hat und die sie derzeit bestimmt. Darin werden täglich Entscheidungen gefällt, die alle Bürgerinnen betreffen. Sie können im Interesse von partikularen Gruppen innerhalb der Gesellschaft getroffen werden oder im Gemeinwohlinteresse (Nicholas Garnham zu Elizabeth Jacka). Den Unterschied macht eine organisierte massenmediale Öffentlichkeit, die o.a. im Rundfunkstaatsvertrag formulierten Anforderungen erfüllt.
2. Grundversorgung erfordert Ferne zu Staat und Markt und bedingt daher Beitragsfinanzierung
Ist mit Ratifizierung des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags Konsens der Länder.
Zwischen der Skylla der politischen Einflussnahme und der Karyptis des wirtschaftlichen Drucks ist kollektive, öffentliche Finanzierung eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für eine Selbstbeobachtung der Gesellschaft im Gemeinwohlinteresse.
3. Neben Rundfunk und Presse ist das Internet als Medium der Information und Meinungsbildung getreten
Aktivitäten im Internet unterliegen keiner Genehmigungspflicht
"Unlike the broadcasting sector, for which registration or licensing has been necessary to allow States to distribute limited frequencies, such requirements cannot be justified in the case of the Internet, as it can accommodate an unlimited number of points of entry and an essentially unlimited number of users." (Report of the UN Special Rapporteur on the promotion and protection of the right to freedom of opinion and expression, Frank La Rue, 16 May 2011)
4. Grundversorgung ist ein Gesellschaftsvertrag zwischen Kreativen und Publikum
unter Künstlern gilt Kreativer als Schimpfwort. Ausserdem finde ich die Rollenaufteilung fraglich. Alle Kreativen sind auch Publikum, und im Netz kann das Publikum auch kreativ sein. Wir brauchen eine Art von ... Einspeisevergütung ... Auch der Begriff Gesellschaftsvertrag entspricht nicht unbedingt der Wahrnehmung, wo die neue Gebühr schlicht als Zwangsabgabe wahrgenommen wird, über deren Verteilung intransparente politische Strukturen entscheiden. Das als Gesellschaftsvertrag zu bezeichnen, ist ein ziemlicher Euphemismus
Alle Bürger bezahlen, damit für alle etwas bereitgestellt wird. Dieses Etwas wird von Kreativen -- Filmemachern, Journalisten, Dramaturgen, Anchorpersons, Produktionsfirmen etc. -- geschaffen und vom Publikum wahrgenommen. die ganze Logik der Bereitstellens behagt mir nicht. Im Netz geht es doch auch eher um aktive Teilnahme als um das passive Beliefertsein mit Bereitgestelltem
Diese Transaktion bildet den Kern und Daseinszweck der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung. Alle anderen Elemente des Systems dienen ihr und erfüllen keinen eigenständigen Zweck.
Diese Transaktion muss von den Zahlungspflichtigen als fair und angemessen wahrgenommen werden. Ohne Akzeptanz lässt sich die Abgabe und damit der Gesellschaftsvertrag nicht aufrecht erhalten. !!!
Ebenso muss diese Transaktion von den Kreativen als fair und angemessen wahrgenommen werden. Ohne angemessene Vergütung werden Talent und Qualität nicht in der öffentlich-rechtlichen Grundversorgung stattfinden, sondern inm Ausland, bei kommerziellen Veranstaltern, mit anderen Geschäftsmodellen oder gar nicht erst aufkommen (Drehbuchautoren). ich habe meinen Zweifel, ob die Grundversorgung dazu genommen wurde, um allerlei - und ziemlich zweifelhafte - Kulturproduktion zu versorgen. Wer aber stellt Qualität fest? Die Betrachter? Beamte? Gutachter?.
Hypothesen
Empirisch überprüfbare Aussagen, die wir uns in der Forschung vornehmen.
1. Das Publikum wandert von Fernseher und Radio ab ins Internet
Menschen versorgen sich zunehmend im neuen Leitmedium Internet mit Information, Bildung, Beratung, Unterhaltung.
Thesen
Wertbasierte Aussagen. Versuche, unentscheidbare Fragen zu entscheiden.
Bürger vs. Verbraucher vs. Produzent als Adressat der GV
Volks-Souveränität vs. Konsumenten-Souveränität
Internet Native sehen nicht mehr linear, sondern nach Bedarf, zeitsouverän, on Demand
Digital Natives nehmen linear produzierte Inhalte nicht als genuin digital wahr
Es braucht eine andere Form der Organisation, um genuin digital Inhalte zu produzieren
das Netz läuft ja als Echtzeit-Labor, um diese Organisationsformen zu testen. Geplant werden können sie nicht.
Das Internet ist Element einer neuen, hybriden Form von Öffentlichkeit
Die Massenproteste gegen SOPA und ACTA haben gezeigt, dass neben die traditionellen medialen Formen von Öffentlichkeit die "vernetzte Öffentlichkeit" (networked public sphere, Yochai Benkler) getreten ist. Bei SOPA hat die Allianz aus Internet-Unternehmen und NGOs dazu geführt, dass die Abgeordneten scharenweise umgekippt sind. Bei ACTA war der Effekt auf die nationalen und europäischen Politiker ähnlich. Auffällig an den Demonstrationen war der sehr niedrige Alterdurchschnitt: die YouTube-Kids, die befürchten, dass ihre Remix-Kultur verboten wird, sind zum ersten Mal en masse auf die Bühne der Öffentlichkeit getreten. Mit dem Einzug der Piraten Partei in vier Landesparlamente (und absehbar auch in den Bundestag) hat die Netzöffentlichkeit den Schritt von der außerparlamentarischen Öffentlichkeit in den parlamentarischen Entscheidungsraum gemacht.
hätte ich etwas anders formuliert: erzeugt eine Form neue Form von Öffentlichkeit
Grundversorgung im Internet-Zeitalter ist ...
- oben schon relativ ausgiebig beantwortet. Obwohl die Idee, dass die Information eigentlich im LongTail liegt, die News aber privaten überlassen werden können, Sinn macht.
- ...anderen technischen Voraussetzungen unterworfen. Das führt auf unterschiedlichen Ebenen zu neuen Fragen/Problemen:
- Many-to-Many- im Gegensatz zu One-to-Many-Kommunikation: Jeder kann im Netz Sender sein. Daraus ergeben sich neue Herausforderungen für die Qualitätskontrolle, Meinungsvielfalt und Finanzierung. Alles Fragen der Gundversorgung. Ein Beispiel für die Herausforderungen im Bereich der Qualitätskontrolle ist der Drei-Stufen-Test.
- Der Zugang zum Medium (Vergabe der Frequenzen) setzt beim Rundfunk umfangreiche Prüfung durch Medienanstalten voraus. Erst dann teilt die Bundesnetzagentur eine Frequenz zu. Die Zuteilung muss diskriminierungsfrei erfolgen. Die Verwaltung von Frequenzknappheit entfällt im Netz, da die vorhandenen Ressourcen durch paketbasiertes Senden gleichmäßig aufgeteilt werden. Außerdem gibt es prinzipiell keine Frequenzknappheit (Frequenzen sind nach oben nicht beschränkt). Jedoch kommen bei der Nutzung Kontrollmechanismen ins Spiel, die die Internet Service Provider ausüben können. Hier spielt die Frage der Netzneutralität eine Rolle, die bisher keineswegs geklärt ist. Netzneutralität im Netz umfasst einen Bereich der Grundversorgung im Rundfunk.
- Ein weiterer Aspekt ist das "Gedächtnis" des Netzes und damit veränderte Bedingungen der Verfügbarkeit. Inhalte bleiben, sofern sie nicht depubliziert werden (bzw. aus technischen Gründen verloren gehen), verfügbar.
- Grundversorgung im Internet-Zeitalter ist mit dem bisherigen Begriffsgegensatzpaar öffentlich/privat nicht gut beschreibbar.
Integration vs. Sparten/Zielgruppen
Hoffmann-Riem et al. (Thesen, 1981) warnen vor Segmentierung des Publikums nach Herkommen, Bildung, Einkommen.
Die Fortschreibung des Gesellschaftsvertrags zwischen Kreativen und Publikum erfordert eine neue Organisation
wie oben gesagt: ich sehe diesen Gesellschaftsvertrag derzeit nicht. Und ob wir ihn so fordern solten, müsste man sich noch einmal überlegen.
Partizipation statt Delegation
Z.B. eine [Kooperative] aus Kreativen und Publikum
Depublizieren ist ein Unding
Rundfunkarchive müssen bewahrt und zugänglich gemacht werden
Drei-Stufen-Test
Im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, in Kraft getreten am 1 Juni 2009, wurde der Funktionsauftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten von Rundfunk auf Onlineangebote (Telemedienkonzepte) erweitert. Dies hat unweigerlich eine Reihe von privat-kommerziellen Akteuren, einschließlich Zeitungsverlegern (BDZV) und privaten Medienunternehmen (VPRT), auf den Plan gerufen die sich in den von Ihnen verfolgten Geschäftsmodellen von den größtenteils durch die Rundfunkgebühr (ab dem 1. Januar 2013 Haushaltsabgabe) finanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalten beeinträchtigt sehen und sich darüber bei der Kommission sowie an nationalen Gerichtshöfen beklagt haben.
Die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunk tangiert einerseits Wettbewerbs- sowie als auch Kulturfragen. Für erstere ist die Kommission zuständig wohingegen Kulturaspekte nationaler Verantwortlichkeit unterliegen. Bereits innerhalb der letzten zehn Jahre hat die Kommission etwa 30 Beschlüsse über Staatsbeihilfe im öffentlich-rechtlichen Rundfunkwesen gefasst. Als eine Konsequenz der nunmehr aufgekommenen Beschwerden hat die Kommission im Oktober 2009 ihre von 2001 datierende Mitteilung über die Anwendung der Vorschriften über staatliche Beihilfen auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk revidiert und nach einem klarer definierten öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrag verlangt.
In Folge des Beihilfekompromisses zwischen Kommission und BRD wurde schlußendlich der Drei-Stufen Test, gewissermaßen eine Adaption des britischen Public Value Tests, eingeführt. Drei-Stufen Tests müssen für alle Angebote durchgeführt werden, die länger als sieben Tage nach ihrer jeweiligen Sendung online zur Verfügung gestellt werden sollen. Dabei wird in Stufe 1 geprüft, ob das jeweilige Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht. In Stufe 2, dem Pendant zum britischen market impact assessment, wird evaluiert in welchem Umfang es in qualitativer Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beiträgt und in Stufe 3 wird geprüft welcher finanzielle Aufwand hierfür erforderlich ist. Zuständig für die Durchführung der Tests sind die Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (respektive Rundfunk-, Fernseh- oder Hörfunkrat).
Zwischen dem 1. Juni 2009 und dem 31. August 2010 wurden 41 Drei-Stufen Tests durchgeführt. Allein die Durchführung des Tests für das gemeinsame ARD und ZDF Angebot Kikaninchen, welches mit einem jährlichen Budget von etwa 320.000 Euro ausgestattet ist, hat 300.000 Euro gekostet. Ferner hat die Unternehmensberatung Goldmedia 11 Prüfungen in Bezug auf Stufe 2 (market impact assessment) durchgeführt von denen lediglich die Prüfung des ZDF Telemedienkonzeptes fast 500.000 Euro gekostet hat. Bedenkt man, dass nicht ein einziges geprüftes Angebot abgelehnt worden ist, scheint dieser immense bürokratische Aufwand, verbunden mit den gewaltigen Kosten, keinesfalls ein optimales Verfahren darzustellen. Vielmehr werden Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen die den Test passiert haben legitimiert.
Der Drei-Stufen-Test spiegelt die veränderten technischen Bedingungen wieder, die sowohl den Zugang zum Medium als auch die Verfügbarkeit von Inhalten betreffen.
Qualität statt Quote
Die Masse will McDonalds, Bild, RTL (die ihnen der Markt bietet).
Staat/Gemeinschaft sagt: ör Inhalte sind wichtig für Dich, deshalb musst Du Dich an der Bereitstellung beteiligen, auch wenn Du sie nicht wahrnimmst.
Ähnlich Bildung: Schulpflicht und Inhalte von KuMis bestimmt, auch wenn Eltern/Kinder etwas anderes unterrichtet haben möchten. -> Erziehungsbeamte im Aufschreibesystem 1800, Kittler
Wesnigk: Kunst ist elitär.
Arno Schmidt: "Das Volk kennt Kunst nur in Verbindung mit -dünger und -honig (Keine Mißverständnisse: sonst mögens Wackermänner sein, aber schlecht Musikanten!) -- Kunst dem Volke?!: das jault vor Rührung, wenn es Zarewitschens Wolgalied hört, und bleibt eiskalt gelangweilt beim Orpheus des Ritter Gluck. Kunst Volke?!: den slogan lass man Nazis und Kommunisten: umgekehrt ists: das Volk (Jeder!) hat sich gefälligst zur Kunst hin zu bemühen!" (Brand's Haide, S. 43 f.)
Sparten statt Warten
(Lieber) Sparten statt warten! Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Digitalkanäle, Von: Cem Özdemir und Oliver Passek, Funk Korrespondenz, 23/2012